KVN Pro

Von Baustellen und Herausforderungen

Der niedersächsische Sozialminister Dr. Andreas Philippi besuchte die KVN-Vertreterversammlung. Für den niedergelassenen Chirurgen eigentlich ein Heimspiel. Doch er zeigte auch: Der Blick der Politik ist ein anderer. Und die klare Benennung der Probleme ist noch nicht ihre Lösung

VV 11 23 DSC_0027

Lebhafter Meinungsaustausch mit den Delegierten: Der niedersächsische Sozialminister Dr. Andreas Philippi (re.) hatte den Platz neben dem VV-Vorsitzenden Dr. Eckart Lummert. (Foto: Köster)

„Selbstverwaltung und Politik arbeiten eng zusammen. Sie als Vertretende der ärztlichen Selbstverwaltung sorgen für die ambulante medizinische Versorgung. Die Politik gestaltet die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Diese Aufgabe ist für beide Seiten mitunter eine große Herausforderung.” Schon mit seiner Einleitung machte der neue niedersächsische Sozialminister Dr. Andreas Philippi deutlich: Die Gestaltungsansprüche der Politik gehen über die ärztliche Standespolitik hinaus. Das ändert sich auch nicht, wenn ein Arzt an der Spitze des Ministeriums steht.

 

Herausforderungen im Schnelldurchgang

 

Es ist lange geübter Usus, dass sich der jeweils amtierende Sozialminister nach seinem Amtsantritt auch der KVN-Vertreterversammlung mit einer „Keynote” vorstellt. Philippi umriss seine politische Agenda. Die Corona-Pandemie, so der Minister, habe „wie ein Brennglas die jahrzehntealten Strukturprobleme des deutschen Gesundheitswesens offengelegt.” Eine bekannte Herausforderung sei der Mangel an Ärztinnen und Ärzten. „Umso überraschender ist es, dass im internationalen Vergleich Deutschland einen Spitzenplatz bei der Anzahl der Ärztinnen und Ärzte pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern belegt.” Dennoch komme es zu überfüllten Hausarztpraxen und Notaufnahmen oder etwa Schwierigkeiten der Patientinnen und Patienten, Facharzttermine zu erhalten. Dem stehe der demographische Wandel gegenüber, der sowohl die Gesamtbevölkerung wie auch die Ärzteschaft selbst betreffe. Das Ergebnis sei „eine hohe Arbeitsbelastung der Ärztinnen und Ärzte gerade in den Praxen der ambulanten Versorgung.”

 

Ein Kernproblem sei der Mangel an Hausärztinnen und Hausärzte. „Deshalb müssen wir die Attraktivität des Hausarztes steigern und Rahmenbedingungen schaffen, damit dies gelingen kann.” Dazu seien Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Sie richteten sich vor allem auf Änderungen der Rahmenbedingungen für das Medizinstudium oder die Weiterbildung. „Dazu werden wir die Attraktivität des Studiums für diesen Bereich, aber auch die Anzahl der erforderlichen Studienplätze genau anschauen.”

 

Daneben seien aber auch Änderungen in der Versorgung zu berücksichtigen. Konkret verwies Philippi auf

  • die Bedarfsplanung,
  • die Einbindung anderer Berufsgruppen (Delegation),
  • telemedizinischer Versorgungsangebote
  • die Stärkung alternativer Organisationsformen.

All dies jedoch sei unter den Vorbehalt verfügbarer Haushaltsmittel und von Änderungen auf Bundesebene gestellt.

 

 

VV 11 23 DSC_0005

Für die neue Vorständin der KVN, Nicole Löhr, war es der erste Auftritt vor der Vertreterversammlung.

VV 11 23 DSC_0010

Sitzung der Vertreterversammlung im November 2023. (Fotos: Köster)

Wichtig sei eine stärkere sektorenübergreifende Bedarfsplanung. Ambulante und stationäre Kapazitäten müssten künftig gemeinsam betrachtet werden. Dabei seien auch andere Fachkräftegruppen wie z.B. das Praxispersonal mit in den Blick zu nehmen. Es gelte, knappe Personalressourcen künftig optimaler und effizienter zu nutzen. Hierzu, so Philippi, erwarte er Vorschläge auf Bundesebene im Kontext der Krankenhausreform sowie der auf Bundesebene initiierten Notfallreform.

 

Die Fragen um die Sozialversicherungspflicht der „Poolärzte” sah der Minister als einen „Regelungsgegenstand des Bundes”. Hierzu werde sich Nidersachsen mit den anderen Ländern abstimmen und in eine Diskussion mit dem Bund eintreten. Eine weitere Baustelle auf Bundesebene sei das Digitalgesetz, das vor allem eine Stärkung der elektronischen Patientenakte vorsehe. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen sei „eine maßgebliche Säule für die Zukunft einer sicheren medizinischen Versorgung”. Auf diesem Themenfeld setze er auf die KVN als starke Partnerin.

 

Das größte und aktuellste Thema der Gesundheitsversorgung sei die anstehende Krankenhausreform, die sich auch auf die ambulante Versorgung auswirken werde, etwa durch den Ausbau der Ambulantisierung und der sektorenübergreifenden Einrichtungen. Bei den „Regionalen Gesundheitszentren” sei noch eine Reihe von Fragen zu lösen. Doch politisch stellte sich der niedergelassene Chirurg Philippi hinter dieses Konzept: „Ich bitte Sie als praktisch tätige Ärztinnen und Ärzte, sektorenübergreifende Vorhaben vor Ort zu unterstützen. Und als Kolleginnen und Kollegen der Selbstverwaltung bitte ich Sie, die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Umstellungsphase pragmatisch anzuwenden und zusammen mit uns dauerhafte Lösungen zu suchen.”

 

Kritische Zustimmung

 

Die daran anschließende Aussprache mit dem Plenum zeigte aber, dass die Delegierten in diesem geforderten Schulterschluss auch eine Bringschuld der Politik sahen. VV-Vorsitzender Dr. Eckart Lummert erinnerte den Minister an die Ursachen für den Unmut der ärztlichen Basis: Die Ärzteschaft werde nur unzureichend an der Entwicklung der TI-Anwendungen beteiligt. Es fehle der finanzielle Ausgleich für Inflation, unzureichende Vergütung bei steigenden Betriebs-und Lohnkosten. Zunehmend überfordere die Bürokratie die Ärzte und die Praxen.

 

Dr. Ludwig Grau appellierte als stellv. VV-Vorsitzender an den Minister, die Entbudgetierung aller niedergelassenen Ärzte, nicht nur der Hausarztpraxen, voranzutreiben. Die Krankenkassen meinten noch immer, ihre Patienten vor unnötigen Eingriffen und Untersuchungen „schützen” zu müssen. Ein Irrtum - die Entbudgetierung solle gerade die fachärztliche Grundversorgung verbessern. Die Tarifabschlüsse zwischen fünf und zehn Prozent in diesem Jahr ließen bei den Krankenkassen „die Einnahmen sprudeln”. Damit sei eine Finanzierungsgrundlage für die Entbudgetierung gegeben. Doch stattdessen plane die Politik eine Ausweitung versicherungsfremder Leistungen. Es ginge nicht an, diese Leistungen durch Honorarverzicht der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gegenzufinanzieren.